BGH-Urteil vom 09.02.2018 (V ZR 311/16)
Haftungserweiterung für Grundstückseigentümer?
23.02.2018
Der Bundesgerichtshof hat in einer am 09.02.2018 ergangenen Entscheidung die Eigentümer eines Grundstücks für Schäden am Nachbargebäude als ersatzpflichtig angesehen, die infolge eines von ihrem Gebäude auf das Nachbargebäude übergegriffenen Feuers eintraten.
Ein durch die verurteilten Grundstückseigentümer beauftragter Handwerker hatte durch Unachtsamkeit bei der Ausführung von Dacharbeiten das Gebäude seiner Auftraggeber in Brand gesetzt und das Feuer gelangte über die Grundstücksgrenze, wo es auch das Nachbargebäude schädigte.
Die auf den Ersatz des Schadens am Nachbargebäude gerichtete Klage wurde von der ersten und zweiten Gerichtsinstanz abgewiesen, soweit sie gegen die Grundstückseigentümer gerichtet war, die die Dachdeckerarbeiten beauftragt hatten.
Der Bundesgerichtshof hob beide Entscheidungen auf. Er sah einen Ersatzanspruch gegen die beauftragenden Grundstückseigentümer in analoger Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB, dem sogenannten nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch, als gegeben an.
Die Vorschrift, ihrem Wortlaut nach nicht auf Schadensersatz gerichtet, wurde vom Bundesgerichtshof im Laufe der Jahre zu einem immer weiter reichenden verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch entwickelt.
Voraussetzung für den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch ist zunächst eine rechtswidrige Einwirkung, die von einem Grundstück auf ein anderes ausgeht, wovon im Fall eines übergreifenden Feuers unproblematisch auszugehen ist.
Im Gegensatz zum ganz überwiegend im deutschen Schadensersatzrecht geltenden Verschuldensprinzip setzt der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch kein Verschulden voraus. Eine Beschränkung erfährt der Ersatzanspruch lediglich durch die Anforderung, dass der in Anspruch genommene Grundstückseigentümer oder Grundstücksbesitzer „Störer“ im Sinne von 1004 Abs. 1 BGB sein muss. Die nachteilige Einwirkung auf das Nachbargrundstück muss auf dessen Willen beruhen.
Die Vorinstanzen hatten die beklagten Grundstückseigentümer nicht als Störer angesehen, da sie durch eine gewissenhafte Auswahl des Handwerkers alles unternommen hatten, um das Risiko eines Brandschadens im Zuge der Dachdeckerarbeiten auszuschließen und die Brandursache grob fahrlässig durch den Handwerker gesetzt wurde.
In Abweichung hierzu stellte der Bundesgerichtshof darauf ab, dass die Grundstückseigentümer die Vornahme von Dacharbeiten veranlassten und aus den beauftragten Arbeiten Nutzen ziehen wollten, weshalb die Beklagte mittelbare Handlungsstörer seien und verurteilte die Beklagten zum Ersatz der Schäden am Nachbargebäude.
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs kommt es nicht darauf an, dass den in Anspruch genommenen Grundstückseigentümer ein Fehlverhalten trifft. Es entlastet ihn nicht, den Handwerker sorgfältig ausgewählt zu haben. Ebenso hilft es dem Grundstückseigentümer nicht, dass der Schaden schuldhaft durch einen Dritten verursacht wurde, da die Einwirkung zumindest mittelbar durch ihn veranlasst wurde. Obwohl selbst durch den Fehler des Handwerkers geschädigt, hat er auch noch seinem Nachbarn Ersatz zu leisten.
Freilich besteht auch ein deliktischer Schadensersatzanspruch des Nachbarn gegen den schadenverursachenden Handwerker. Allerdings war dieser aufgrund einer eingetretenen Insolvenz des Dachdeckers nicht werthaltig, so dass auf zahlungsfähigere Schuldner zugegriffen wurde.
Zwar handelt es sich bei dem Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog nicht um einen Schadenersatzanspruch im eigentlichen Sinn. Seit der BGH-Entscheidung vom 11.06.1999 (BGH V ZR 377/98, VersR 1999, 1139) ist jedoch geklärt, dass Deckung für diesen Anspruch über die Haftpflichtversicherung gegeben ist, wenn die Einwirkung zu einer Substanzschädigung geführt hat und der Ausgleichsanspruch auf Schadenersatz gerichtet ist. Dann liegt ein Schadenersatzanspruch gem. Ziff. 1 der Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) vor.
Autor: Oliver Frittmann, Gruppenleiter Schaden Firmenkunden